Ein Beitrag von Nele Harner

Einige Jugendromane bringen alles mit, was das Herz von Leserinnen und Lesern beim lauten Auflachen für einen kurzen Moment aussetzen lässt. Mit einer gigantischen Ladung Sprachwitz, authentischen Charakteren und explosiv-humorvollen Szenen macht Stepha Quitterer in ihrem Jugendroman „Weltverbessern für Anfänger“ vor allem auf eines aufmerksam: Zusammen können wir die Welt verbessern, und das sollten wir auch!

Warum sie diese Thematik als wichtig erachtet und Minnas Klasse dafür ins Pflegeheim schickt, verrät sie Lehrkraft Nele Harner und allen zukünftigen Leserinnen und Lesern im folgenden Interview:

Frau Quitterer, Sie schreiben Bücher für Erwachsene, Drehbücher, Hörbücher und sogar Theaterstücke. Was macht das Schreiben für Jugendliche besonders interessant?

 

Ich mag einfach Jugendliche. Sie sind voller Aufbruchsstimmung. Viele, die ich kennenlerne (nicht alle!) haben geniale Ideen, sind frisch, kreativ, gnadenlos, voller Tatendrang und noch null festgefahren. Ich find super, dass man ihnen nichts vormachen kann. Sie testen dich, ob du was taugst oder nicht, da hilft nur authentisch sein und was drauf haben. So gesehen: ein knallhartes Pflaster. Macht die Sache spannender. Und es ist eine Lebensphase, in der einem manchmal ein einziger Satz, eine einzige Begegnung oder eben die Lektüre eines Buches einen prägenden Stupser in eine ganz bestimmte Richtung im Leben gibt. Der Gedanke, mit einem meiner Bücher irgendwann mal für irgendjemanden dort draußen so ein Stupser zu sein, lässt mich am allerliebsten für Jugendliche schreiben.

 

Wie sind Sie auf das Thema für „Weltverbessern für Anfänger“ gekommen?


Ich komme auf dem Weg zu meiner Jogging-Runde an einem Pflegeheim vorbei. Eine gewisse Zeit lang stand auf einem der Balkone immer ein Mann. Jedes Mal, wenn ich vorbeikam. Ich bin nicht unbedingt ein Fremder-Männer-Fan, aber irgendwann fingen wir an, uns zu grüßen (das ist nicht selbstverständlich in einer Großstadt wie Berlin). Er wirkte auf mich einsam, auch wenn damals wahrscheinlich eher ich diejenige war, die sich einsam fühlte. Dann gab es eine Situation, in der eine Bewohnerin im Rollstuhl vor der Tür wartete und mich bat, zu klingeln (sie konnte die Klingel nicht erreichen!), weil schon abgeschlossen war (es war nach 17 Uhr). Und als die Pflegerin endlich kam, um die Tür zu öffnen, hat sie der Frau im Rollstuhl erstmal einen Anschiss verpasst, als wäre die eine renitente, minderbemittelte Verbrecherin. Weil sie den Sommerabend draußen hatte genießen wollen. Solche Situationen, persönliche Erfahrungen in Pflegeheimen und meine „Hausbesuche“, das Projekt, für das ich in 200 Tagen 200 wildfremde Leute spontan in deren Wohnungen besucht habe und erleben durfte, wie sehr sich Türen öffnen, wenn sich Türen öffnen, ergab zusammen mit dem Wunsch, junge Menschen zu ermutigen, zumindest das „kleine“ Weltverbessern einfach umzusetzen, dann ganz logisch „Weltverbessern für Anfänger“.

 

Viele ihrer Figuren haben sehr spezielle und individuelle Charaktereigenschafen. Wie finden Sie Ideen für Ihre Figuren?

 

Indem ich Menschen und Situationen beobachte. Ich will so viel wie möglich lernen und erleben. Alles ist Recherche. Ich unterhalte mich viel mit Menschen, versuche, offen und neugierig zu sein. Berufs- aber sicher auch charakterbedingt. Wenn ich allein unterwegs bin, passiert es mir beispielsweise regelmäßig, dass ich angesprochen werde – auf einer Parkbank, beim Warten auf einen Bus, in der Skigondel, in einem Café – und mir plötzlich eine fremde Person vier Stunden lang intime Details aus ihrem Leben erzählt. Natürlich frage ich nach und frage nach und folge den roten Fäden. Eine gute Geschichte oder wenigstens eine interessante Neuheit ist schließlich garantiert dabei. Dabei versuche ich, einen Menschen nicht zu bewerten. Wer bewertet, macht gleich den Deckel auf einen Topf und kann nicht mehr reingucken, was eigentlich in diesem Topf alles so drin ist. Wer nicht bewertet, erfährt viel mehr über das Andere, seine Motive und Sichtweisen. Viele meiner Figuren sind also gar nicht so sehr erfunden, sondern aus meinem erlebten Fundus zusammengesammelt, frisch gemixt, neu gewürzt – und fertig.

 

Mit welcher Figur können Sie sich am ehesten identifizieren?

 

Mit Suse. Sie ist emotional und nicht perfekt, hat ihre Gründe und ihre Meinung, liebt ihren Beruf mehr als das bisschen Haushalt, hat gesunden Menschenverstand und ordentlich Herz. Sie ist diejenige, die Minna Respekt und Demut beibringt – aber auch, vor Grinsinger und Konsorten, ach, eigentlich vor nichts zu kuschen. Ja, gerade als Mutter wäre ich gern ein bisschen wie sie.

 

Welchen kleinen Bereich der Welt würden Sie am liebsten verbessern / verändern wollen?


Wenn ich eins herausgreifen soll: Ich würde gern verändern, dass Autos Gehwegübergänge zuparken, E-Roller mitten im Gehweg abgestellt werden, die Bordsteinkanten an Gehwegübergängen nicht komplett ebenerdig, sondern immer noch 3-5 cm hoch sind, Mülleimer in Berlin auf Schulterhöhe hängen und an der Ampel die Grünphase für Fußgänger so kurz ist, dass man einen ordentlichen Zahn zulegen muss, wenn man in einem Rutsch rüber will. Wo jetzt genau das Problem ist? Ja, ich hab keins damit. Aber Rollstuhl- und Rollatorfahrende haben eins.

 

Warum gehört „Weltverbessern für Anfänger“ in den schulischen Deutschunterricht?

Weil die Sprache explodiert und die ein oder andere Nuss geknackt werden will.

Weil sowohl das Weltverbessern als auch die Fragen, wie mit einem abgeschobenen Teil unserer Gesellschaft umgegangen wird / was Demokratie im täglichen Zusammenleben bedeutet / in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen und was man als Einzelmensch dazu beitragen kann, durchaus diskutiert werden können und sollen. Dass das ganze Ding obendrein ordentlich Humor hat, keine faden moralischen Zeigefinger hebt und sich auch sonst null anbiedert, ist natürlich auch nicht ganz zu verachten.

 

Nele Harner ist Lehrkraft für Deutsch, Kunst und Darstellendes Spiel an einer Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein. Sie ist der Meinung, dass es nur den richtigen Roman braucht, um Lesefreude bei Schüler*innen zu wecken. Um diesen einen Roman zu finden, liest sie sich gerne quer durch alle Neuerscheinungen.