Ein Beitrag von Dr. Eva Trumpp
Seit über einem Jahr ist mit ChatGPT & Co das Thema Künstliche Intelligenz in aller Munde. Täglich finden sich Artikel, Features und Reportagen in den Medien und auch auf der didacta in Köln 2024 war generative KI im modernen Fremdsprachenunterricht eines der führenden Themen. Sicherlich haben Sie sich schon gefragt, wann und wie Sie am Besten das Thema sinnvoll und für Ihre Lerngruppe ansprechend und nützlich in Ihren Unterricht integrieren können.
Aber zuerst müssen wir uns einmal fragen, warum das Thema KI einen wichtigen neuen Bildungsinhalt für die Schule darstellt.
KI ist eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts und wird in nahezu allen Bereichen unseres Lebens eine immer größere Rolle spielen. Schülerinnen und Schüler sollten ein grundlegendes Verständnis von deren Funktion und Anwendungsmöglichkeiten entwickeln, um auf die Anforderungen einer zunehmend digitalisierten Welt vorbereitet zu sein. KI wird in vielen Berufsfeldern eine wichtige Rolle spielen, angefangen von der Forschung bis hin zur Anwendung in zahlreichen Bereichen wie z. B. der Medizin, dem Marketing oder den Finanzen. Ein Verständnis von KI-Konzepten und -Anwendungen kann unseren Schülerinnen und Schülern helfen, sich auf zukünftige Arbeitsmöglichkeiten vorzubereiten und sich in einer sich wandelnden Arbeitswelt zurechtzufinden.
Der Einsatz von KI wirft aber immer auch ethische und gesellschaftliche Fragen auf, die im Fremdsprachenunterricht diskutiert werden können. Dies umfasst Themen wie Datenschutz, Bias in Algorithmen und die Auswirkungen von KI auf Arbeitsplätze und Gesellschaft. Durch die Auseinandersetzung mit diesen Fragen können Schülerinnen und Schüler ein Bewusstsein für die Verantwortung im Umgang mit Technologie entwickeln, um an diesem gesellschaftlichen Diskurs und an dieser gesellschaftlichen Aufgabe teilzuhaben. Die Auseinandersetzung mit Lektüren zum Thema KI bietet dabei zahlreiche inhaltlich-thematische Anregungen sowie Diskussionsanlässe.
Künstliche Intelligenz ist somit ein spannendes, aktuelles Thema, dem sich auch der Englischunterricht stellen muss. In der Unterrichtsreihe zu Science and Technology, die in den Lehrplänen verankert ist und von den Schulbuchverlagen angeboten wird, hat die Betrachtung von KI bereits Einzug gefunden. Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen sowie nach den Chancen und Risiken verbindet dabei immer naturwissenschaftlich-technische Fragen mit sozialwissenschaftlichen sowie philosophisch-ethischen Diskussionen. Sehr gut lassen sich diese Themen in Kombination mit einer Lektüre in einer größeren Unterrichtsreihe bearbeiten.
In diesem Blog-Beitrag stellen wir Ihnen einige ansprechende englischsprachige Lektüren zum Thema KI für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht vor, zu denen bereits Teacher’s Guides vorliegen.
Packend, aktuell, abwechslungsreich geschrieben und sprachlich bereits ab Klasse 9 geeignet, ist der Roman Catch me if I fall von Barry Jonsberg, in dem neben den Gefahren des Klimawandels insbesondere die Risiken der fortschreitenden Integration von KI in unsere Gesellschaft und die Verantwortung der Wissenschaft dabei thematisiert werden. Die Zwillingsprotagonisten sind erst 13 Jahre alt, aber die größeren moralischen und ethischen Fragen, die das Buch aufwirft, werden ältere Jugendliche ebenso ansprechen. Die Mutter der Kinder, eine berühmte Wissenschaftlerin, bereut am Ende den KI-Jungen Aiden erschaffen zu haben, damit ihre Tochter Ashleigh einen Bruder haben kann. Während sich Menschen über Millionen von Jahren langsam entwickelt haben, kann selbstlernende KI das gesamte Wissen der Welt in viel kürzeren Zeiträumen erwerben und damit die menschliche Intelligenz übertreffen. Sie warnt, dass Aidens unkontrollierbare Entwicklung zu unvorhergesehenen Konsequenzen für die Menschheit führen wird. Ihre Tochter Ashleigh argumentiert jedoch, dass Aiden nicht böse ist und glaubt, dass superintelligente Maschinen eines Tages alle Probleme der Welt lösen können. Ihre Mutter hingegen befürchtet, dass Aiden außer Kontrolle geraten und gefährlich werden könnte, da er bereits einen Weg gefunden hat, um die ihm auferlegten Einschränkungen zu umgehen. Sie beschließt daher, ihn zum Wohl aller sicherheitshalber abzuschalten, bevor es zu spät ist.
The Adoration of Jenna Fox von Mary E. Pearson geht der Frage nach, was uns Menschen ausmacht. Als Young Adult Novel eignet sich dieser klar verständlich und spannend geschriebene Roman ab der 10. Klasse oder auch im Grundkurs 11. Jenna Fox wird nach ihrem Unfall mit Hilfe von Biotechnologie und Künstlicher Intelligenz wiederhergestellt, was zu Diskussionen über moralische Verantwortung und die Grenzen menschlicher Manipulation führt. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Frage nach Jennas Identität und ihrem Bewusstsein, zumal sie große Teile ihres Gedächtnisses verloren hatte. Diese Frage nach dem Wesen der Identität und ob Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickeln kann, sind immer zentrale Themen der KI-Ethik.
Für den Leistungskurs der gymnasialen Oberstufe bieten sich insbesondere zwei Romane an.
Zum einen Klara and the Sun von Kazuo Ishiguro, der aus der Perspektive einer KI erzählt, die als Artificial Friend (AF) Klara einem einsamen Mädchen namens Josie zur Seite steht und dabei Bewusstsein und Gefühle so gut simuliert, dass wir ihr diese auch zugestehen möchten. Das Buch erkundet die Themen Menschlichkeit, Liebe und Einsamkeit aus der Perspektive von Klara, während sie versucht, die Welt um sie herum zu verstehen und ihre Rolle im Leben von Josie zu erfüllen. Das Buch spielt in einer futuristischen Welt, in der Technologie einen bedeutenden Einfluss auf die Gesellschaft hat. Durch die Darstellung dieser Welt und ihrer Einstellung zu Künstlicher Intelligenz werden Fragen nach den Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf die menschliche Gesellschaft gestellt, wie Arbeitsplatzverlust, soziale Ungleichheit und Umgang mit neuen Technologien. Insgesamt bietet der Roman eine fesselnde und einfühlsame Analyse der Beziehung zwischen Menschen und Künstlicher Intelligenz, die zahlreiche Anlässe zum Nachdenken bietet über die Chancen, Herausforderungen und ethischen Implikationen von KI.
Eine besondere Empfehlung wäre schließlich Machines like me von Ian McEwan, eine Lektüre reich an ethisch-philosophischen Fragen danach, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Sie ist sprachlich ansprechende Literatur, geschrieben von einem Autor von Weltrang mit einer originellen und amüsanten Dreiecksbeziehung zwischen einem humanoiden Roboter und seinen menschlichen Mitbewohnern. Der Roman stellt komplexe Fragen über die Natur von Bewusstsein, Moralität und menschlicher Identität in einer Welt mit Künstlicher Intelligenz. Er behandelt kapitelweise alle derzeit relevanten Themen der KI-Betrachtung, wie Chancen und Risiken von KI, aber auch Möglichkeiten und Grenzen des maschinellen Lernens, der künstlichen Kreativität, der Implementierung von Werten in Maschinen, und vieles mehr. Die Geschichte spielt in einem alternativen London der 1980er-Jahre. Alan Turing, der Vater der Künstlichen Intelligenz, lebt noch. Dank seiner bahnbrechenden Arbeit wurden humanoide Wesen mit allgemeiner Künstlicher Intelligenz geschaffen. Der Erzähler ist der 32-jährige Charlie, der sich durch ein Erbe von seiner verstorbenen Mutter einen der ersten bewusstseinsfähigen Roboter leisten kann. Nicht die Roboter, sondern die Menschen, die sich Regeln geben, diese aber ständig aus Eigennutz missachten, stehen im Roman am Ende als die eigentlichen Monster da. Da der Roman alle nur erdenklichen Themen der KI-Betrachtung behandelt, bietet er sich besonders gut als Grundlage für eine Unterrichtsreihe zu KI im Leistungskurs, aber auch in Auszügen mit spezifischen Schwerpunkten für den Grundkurs an. Der bereits veröffentlichte Teacher‘s Guide zu Machines like me bietet dabei zahlreiche Zusatzmaterialien zum Verständnis und zur Vertiefung des Themas KI.
Dr. Eva Trumpp ist Gymnasiallehrerin, Autorin des Teacher‘s Guide zu „Machines Like me“ und gibt Fortbildungen für Lehrkräfte und Schulklassen zum Thema KI im modernen Fremdsprachenunterricht.