von Tina Rausch

Vor der Veröffentlichung seiner Erzählung „Die Verwandlung“ bat Franz Kafka seinen Verleger, keinesfalls einen Käfer auf den Umschlag zu drucken:
„Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden. Es kann aber nicht einmal von der Ferne aus gezeigt werden.“

Kafkas Wunsch entsprang der Überzeugung, dass es in der Erzählung weniger um die Gestalt des „ungeheueren Ungeziefers“ geht als vielmehr um die Auswirkung der unerhörten Begebenheit auf Gregor Samsa und seine Familie. Der Käfer fungiert als Dingsymbol bzw. Falkenmotiv:

  • Er durchzieht das gesamte Werk.
  • Er hat eine symbolhafte Bedeutung.
  • Er veranschaulicht bestimmte Aspekte der Handlung.

In einem Schulklassen-Workshop zur Ausstellung „Kafka: 1924“ im Museum Villa Stuck animierte ein Kunstwerk zu einem Zeichenauftrag: Der bildende Künstler Sebastian Jung skizzierte auf die Seiten eines Kafka-Erzählbandes 68 Porträts des Autors – und die Jugendlichen sollten sich daraufhin zu Zeichnungen auf eine Seite aus der „Verwandlung“ inspirieren lassen. Das Wort Ungeziefer blieb auf der Kopiervorlage bewusst ausgespart. So entstanden Miniaturen – wenige Käfer, dafür Uhren, Betten, Türen, Koffer, Personen etc. –, die als Gesprächsgrundlage über den vermuteten Inhalt dienten. Diese besondere Art der Interpretation öffnete den Blick für das, was der Text jenseits des Erwarteten noch bieten kann.

Im Unterricht lässt sich die Methode ebenso gewinnbringend mit „Wer wir sind“ von Lena Gorelik umsetzen. In dem autofiktionalem Roman kommen verschiedene Dingsymbole vor – allen voran ein antiker Hängeschrank aus Amsterdam:

„Der Schrein ist das Dingarchiv ihrer Familiengeschichte, ihres Lebens und des Lebens ihrer Kinder. Die Zeiten mischen sich darin. Es ist dieser Schrein, der dem Roman seine besondere Aura verleiht.“[1]

Auf der als Kopiervorlage aufbereiteten Seite 27 (Z. 1–28) aus „Wer wir sind“ beschreibt Lena Gorelik die Bedeutung von Dingen für sie, sie listet einzelne Objekte auf – schöne wie hässliche – und erzählt vom Erwerb des Hängeschranks.

Die Jugendlichen lesen den Text und reagieren zeichnerisch auf einen oder mehrere Schlüsselbegriffe. Die Ergebnisse werden aufgehängt oder ausgelegt und auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin untersucht:

  • Was wurde ausgewählt: konkrete Dinge, Details, Menschen, Länder oder Abstraktes?
  • Warum wurde das jeweilige Wort / Motiv ausgewählt?
  • Wurden bestimmte Wörter / Motive mehrfach visualisiert? Wenn ja, welche?
  • Welche Assoziationen haben die Jugendlichen zu den Zeichnungen der anderen?

Die Methode kann als Einstieg in „Wer wir sind“ dienen – oder der Lektüre des Kapitels „Die schönen Dinge“ (S. 20–28) vorangestellt werden. Im Anschluss kann ein Klassengespräch folgen:

  • Was würdest du in so ein Schränkchen stellen? Warum?

Zur weiteren Bearbeitung der facettenreichen Bedeutung von Dingsymbolen in „Wer wir sind“ finden sich verschiedene Kopiervorlagen in der Unterrichtshandreichung von Claudia Schulte.

Tina Rausch ist freie Redakteurin, Lektorin und Literaturvermittlerin. Sie gibt Workshops für Schulkassen, Fortbildungen für Lehrkräfte und erstellt Unterrichtsmaterialien.

[1] Sigrid Löffler, Ein Glasschränkchen als Schrein, Deutschlandfunk Kultur, 01.07.2021,  www.deutschlandfunkkultur.de/lena-gorelik-wer-wir-sind-ein-glasschraenkchen-als-schrein-100.html

Fotonachweis: Susanne Theil, Museumspädagogisches Zentrum