von Michaela Strobel

Schwierige Themen im Unterricht anzusprechen, das fällt wohl kaum jemandem leicht. Und dennoch sollte man sich davor nicht scheuen. Greift man sie im Unterricht auf, spricht man sie an, können Themen, die mit gesellschaftlichen Tabus belegt sind, aus der Stigmatisierung befreit werden.

Zu den sensibelsten und damit schwierigsten Themen gehören sicher psychische Erkrankungen wie ADHS, Angststörungen, Depressionen und Suizid. Laut WHO leidet etwa jedes fünfte Kind oder jeder fünfte Jugendliche an einer psychischen Störung. Dabei ist von einer hohen Dunkelziffer, gerade in bildungsfernen Schichten, auszugehen. Psychische Erkrankungen können gravierende Auswirkungen auf die schulische Leistung, das soziale Leben und damit einhergehend, die Lebensqualität haben.

Man kann und muss bei diesen Zahlen also davon ausgehen, dass man auch in der eigenen Klasse mittelbar oder unmittelbar betroffene Schülerinnen und Schüler hat.

Doch wie umgehen mit Themen wie Ängste, Depression oder gar Suizid?

Ein möglicher Mittler kann hier Literatur sein. Sowohl in der Kinder- als auch in der Jugendliteratur sind in den letzten Jahren zahlreiche Lektüren im Kontext von seelischen Erkrankungen erschienen. Was den Bedarf angeht, spricht allein das schon für sich.

Bücher können sowohl Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen beschreiben als auch Möglichkeiten aufzeigen, Hilfe einzuholen und anzunehmen.

Durch sie kann es gelingen, den Spagat zwischen Distanz und Nähe zu meistern. So wird durch fremden Protagonisten einerseits Distanz, geschaffen, andererseits kann es zum Wiedererkennen der eigenen Lebenssituation und damit zur Identifikation kommen. Gleichzeitig  – und das ist besonders wichtig – bietet Literatur einen Rahmen der Anonymität, denn es geht nie um meine Geschichte, sondern immer um die des  „Anderen“, des Protagonisten.

Welche Aufgabe kann Schule haben und wo müssen die Grenzen gezogen werden?

Schule ist neben dem Elternhaus die konstanteste Gruppe und damit Bindung, die Schülerinnen und Schüler haben. Hier sind sie unter Gelichgesinnten, treffen im besten Fall Freunde. Lehrerinnen und Lehrer können wichtige Bezugspersonen sein, wenn es gelingt, ein über die reine Wissensvermittlung hinaus gehendes Vertrauensverhältnis in einem geschützten Rahmen aufzubauen.

Erkennen von Betroffenen und Prävention muss hier an vorderster Stelle stehen. Dabei wird der Lehrkraft einiges an Sensibilität abverlangt.  Ziel sollte es sein, aufzuklären über mit Tabus belegte Themen, mit der Klasse ins Gespräch zu kommen, Empathie zu entwickeln und die Resilienz des Einzelnen zu stärken.

Kann und muss Schule das leisten?

Im Bildungsplan von Niedersachsen für das Fach Deutsch findet man das passende Rahmenthema 5: Wirklichkeitserfahrungen und Lebensgefühle Jugendlicher (Literatur und Sprache von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart).  Auch sollte Schule immer auch einen Beitrag zu einem gesamtgesellschaftlich relevanten Thema leisten, indem über die Lektüre Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu Austausch gegeben wird.

Die abschließende Botschaft – entweder im Buch bereits angelegt oder im Unterricht herausgearbeitet – muss immer sein: Man kann sich Hilfe holen. Und genau hier muss auch ganz klar die Grenze gezogen werden, dessen, was Schule leisten kann und darf.

Inzwischen gibt es einige unterstützende Angebote, die sich speziell an Lehrerinnen und Lehrer, aber auch an Eltern und Betroffene richten.

Tomoni Mental Health ist eines dieser Angebote. Es richtet sich mit seinen Programmen an Grund- und weiterführende Schulen. In Online-Modulen werden Wissen zu psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen vermittelt. Darüber hinaus werden Handlungs-möglichkeiten aufgezeigt, die Schule und Lehrkräfte haben.

Ist man als Lehrerin oder Lehrer bereit, sich an so schwierige Themen heranzuwagen, sollte man viel Wert auf die Auswahl geeigneter Lektüre legen. Man sollte die Klasse oder Gruppe, die man im Blick hat, sehr gut kennen und Thema und Inhalt sollten der Altersstufe angepasst sein. Je jünger die Schülerinnen und Schüler desto sensibler sollte der Umgang mit der Thematik sein.

Vorab ist es sicher hilfreich, in einem Elternbrief über die geplante Lektüre zu informieren. Gerade auch bei jüngeren Schülerinnen und Schülern wird es Redebedarf auch über die Schule hinaus geben. Darauf sollten Eltern vorbereitet sein.

Einen Ausschnitt an Lektüren, die für den Unterricht in verschiedenen Klassen- bzw. Altersstufen geeignet sind, finden Sie hier:

Auerhaus von Bov Bjerg, Ernst Klett Sprachen

In dieser für die Klassenstufe 11 bis 13 empfohlenen Lektüre geht es um den schrittweisen Rückzug des suizidgefährdeten Frieder aus der Gesellschaft.

Ich nannte ihn Krawatte von Milena Michiko Flašar, Ernst Klett Sprachen

Leistungsdruck in der japanischen Gesellschaft, Rückzug aus der Gesellschaft, Mobbing und Suizid stehen im Mittelpunkt dieses Romans.

Er wird für die Klassenstufen 10 bis 13 empfohlen.

Buenos dias, Laia von Inés Cortell Cerdá, Ernst Klett Sprachen

In dieser Lektüre für den Spanischunterricht steht die 21-jährige Laila im Mittelpunkt, die nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen, mit ihrem minderjährigen Bruder, der an Asperger-Syndrom erkrankt ist, allein auf sich gestellt ist.

Begleitmaterial für Lehrerinnen und Lehrer ist jeweils zu den Lektüren erhältlich. 

Alle Farben grau, Martin Schäuble, Fischer Verlag

In diesem Roman, der auf einer wahren Geschichte basiert, geht es um den Suizid eines Jungen. Der Roman wird ab 14 Jahren empfohlen.

Begleitendes Unterrichtsmaterial ist auch hier erhältlich.

Für Kinder von 6 bis 12 Jahren empfohlen:

Linns Licht, Hogrefe

Ein Mutmach-Buch für Kinder mit einer Depression

von Mira Rzany, Leonie Heindel, Lukas Maelger, Alina Senßfelder, hogrefe Verlag

 

Mein großer Bruder Matti, Anja Freudiger, kids in Balance Verlag

Mit ausdrucksstarken Bildern und einfühlsamem Text wird hier beschrieben, was es für ein Kind bedeutet mit ADHS sein Leben zu meistern.

Für Kinder von 5 bis 7 Jahren

 

Von der Stiftung Lesen für jüngere Kinder von 4 bis 6 Jahren empfohlen wird das Bilderbuch

Mein Elefant ist traurig

Ein bestärkendes Buch für weniger gute Tage,  Melinda Szymanik und Vasanti Unka, cbj Verlag