„Alles ist echt“ ist in vielerlei Hinsicht ein gewaltiges Buch. Woher kommt Ihre Inspiration beim Schreiben für Jugendliche? Wie entstand die Idee zum Buch „Alles ist echt“?
Inspiration finde ich nahezu überall – besonders aber, wenn ich unterwegs bin, ob zu Fuß mit dem Hund, mit dem Rad durch die Stadt oder per Zug und Bahn. Überall sehe und vor allem auch höre ich Menschen miteinander sprechen, und oft sind es diese zufälligen Einflüsse, aus denen meine Geschichten und Bücher erwachsen. „Alles ist echt“ entstand in der Tat als Kombination aus einer schon länger gehegten Idee, mich mit einem scheinbar aus dem Nichts heraus explodierenden Gewaltausbruch von Jugendlichen zu beschäftigen und zugleich dem schwelenden Antisemitismus von jungen Menschen, der mir hier in Berlin sozusagen immer wieder im Vorbeigehen begegnet. „Du Jude“, als Schimpfwort gebraucht – das habe ich schon diverse Male gehört, und jedes Mal bin ich aufs Neue darüber schockiert. Ich fand unbedingt, dass dieses Thema auch in der Jugendliteratur aufgegriffen werden sollte.
In Ihrem Jugendbuch „Alles ist echt“ verspürt der Lesende eine Sympathie für Außenseiter:innen. Welcher Figur des Buches fühlen Sie sich besonders verbunden und warum?
Meine Sympathien liegen bei allen Figuren, insbesondere aber bei Blendi und auch Muris, denn diese beiden haben es schwerer, sich durchzusetzen und ihren eigenen Weg zu gehen, als die Mädchen im Buch. Muris, weil er sich aus dem Einfluss seiner Kumpel befreien muss, denen er ohnehin nicht wirklich vertraut. Blendi, weil er in all seiner Unsicherheit auf sich gestellt ist. Ich glaube, so geht es vielen männlichen Jugendlichen, die, anders als viele Mädchen, letztlich (noch) nicht in der Lage sind, tiefere Bindungen aufzubauen. Aus dieser Bindungslosigkeit erwächst viel Unheil – wie bei Muris, der im Grunde anders agieren möchte, aber keinen Weg dahin findet.
Sie beschäftigen sich in Ihrer schriftstellerischen Arbeit häufiger mit Tabu-Themen. Was denken Sie als Autorin, warum ist Ihr Jugendbuch für den schulischen Literaturunterricht geeignet?
Das ist es ganz bestimmt, weil es sich mit vielen wichtigen Thematiken beschäftigt, und zwar mit Thematiken, die Jugendliche selbst bewegen. Wie komme ich aus einem Einfluss heraus, der mir nicht guttut? Was kann ich tun, wenn ich in kriminelle Schieflage geraten bin? Welchen Einfluss hat Social Media auf mich und meine Beziehungen? Ist meine Meinung wirklich meine eigene, und warum? All das lässt sich im Unterricht sowohl auf der literarischen als auch ethischen Ebene bearbeiten. „Alles ist echt“ lädt die Jugendlichen an vielen Stellen dazu ein, sich selbst in die Figuren hineinzuversetzen und die eigene Haltung zu überprüfen. Wie hätte ich an Muris‘ Stelle gehandelt? wäre zum Beispiel eine zentrale Frage.
Sie sind in Ihrem Schreibstil sehr nah dran an den Jugendlichen und deren Lebenswelt. Was würden Sie Deutschlehrkräften gerne auf den Weg geben, die sich vielleicht vor Ihrer direkten, authentischen und zum Teil heftigen Sprache fürchten?
Ich finde, dass gerade Bücher mit authentischer Jugendsprache dazu einladen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wer auf welche Art spricht und warum. Unsere Sprache zeigt lupenrein, in welchen Kreisen sich Menschen bewegen, wo sie herkommen und wo sie hinwollen. Jugendliche erkennen das sehr genau, und es macht Spaß, das zu analysieren. Als Deutschlehrende würde ich die Jugendlichen zum Beispiel Passagen aussuchen lassen, die sie in ihre eigene Sprache umschreiben, um dann zu untersuchen, was ihnen daran besonders gefällt oder aufstößt. Natürlich schlagen dann einige gern über die Stränge, aber ich glaube, es ist immer gut, aufzuzeigen, was die Dinge – Sprache und Literatur – mit einem selbst zu tun haben. So kann man Jugendliche gewinnen, ohne sich anzubiedern.
Karen-Susan Fessel schreibt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Neben dem eigentlichen Schreiben liest sie häufig in Schulen.
Karen-Susan Fessel
Alles ist echt
168 Seiten
ISBN 978-3-12-666002-0