Ein feinfühliger und humorvoller Jugendroman um das Thema „anders sein“ (aber nicht nur!)

von Martina Uschold

« Le jour de la rentrée, c’est un truc important… »

Mit diesen Worten beginnt der Jugendroman Nos cœurs tordus von Séverine Vidal und Manu Causse und versetzt uns sofort in eine uns bekannte Situation, nämlich den ersten Schultag jedes neues Schuljahres mit all den Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen, die er mit sich bringt.

« … Ulis c’est le nom de la classe de l’école, c’est un joli nom. »

Am Collège Georges Brassens wird mit Beginn des Schuljahres eine ULIS (Unité localisée pour l’inclusion scolaire), eine Art Inklusionsklasse für körperlich und geistig behinderte Schüler und Schülerinnen, eingerichtet. Vladmir, Vlad, der körperlich behindert ist, verliebt sich bereits am ersten Schultag in Lou. Sie scheint für ihn zunächst unerreichbar, da sie bereits einen Freund hat. Die beiden freunden sich an. Lou schlägt Vlad daher vor, an einem Kurzfilmwettbewerb teilzunehmen, dessen Hauptgewinn eine Reise nach New York ist – Vlads großer Traum. Vlad macht sich an das Projekt mit seiner Crew (darunter auch Lou) und so lernen sich die unterschiedlichen Charaktere immer besser kennen und Freundschaften entstehen. Doch sie werden auch mit Problemen und Sorgen konfrontiert, die das Teenageralter mit sich bringt, egal, ob man behindert ist oder nicht.

Un roman de jeunesse…

In diesem Roman geht es um Themen, die alle Jugendliche betreffen: Liebe, Freundschaft, Familie und Schule. Durch sie finden die jugendlichen Leser und Leserinnen einen leichten Zugang zu dem Buch, können sich gut in die Lage der Figuren hineinversetzen und mit ihnen fühlen. Wer kennt die Gedanken in diesem Alter nicht: Wie wird das Schuljahr werden? Wie komme ich meinem Schwarm näher? Warum werde immer ICH beim Stören erwischt? Liebt er/sie mich oder nicht? Vor all diesen und noch weiteren Fragen stehen die Figuren im Buch und wir mit ihnen. Man kommt nicht umhin mitzufiebern, ob das Filmprojekt klappt, wie die Beziehung zwischen Vlad und Lou sich entwickelt etc. Neben den typischen Themen finden auch alle eine Figur, mit der sie sich identifizieren können: Mathilde, die zunächst Pessimistische, Vlad, der ewig Optimistische; Lou, die Nette und Hübsche; Monsieur Flachard, der Serienjunkie; Saïd, der ehemalige Störenfried. Eben ganz realistische Figuren, wie es sie in fast allen Schulen gibt.

… pas comme les autres.

Die Besonderheit des Buches liegt darin, dass drei der Hauptfiguren behindert sind. So ist Vlad unter anderem auf einen Gehstock angewiesen und sein Körper führt unkontrollierbare Bewegungen aus. Mathilde ist querschnittsgelähmt. Dylan hat das Down Syndrom. Aber es gibt auch den scheinbar „normalen“ Saïd, der auch seine „Probleme“ hat, weil er wenig Lernmotivation mitbringt und Schwierigkeiten hat, seine Energie nicht in gewaltigen Taten umzuwandeln. Und da ist auch Monsieur Flachard, der sich mit seiner Tätigkeit als „adjoint du proviseur“ überfordert fühlt und der „seriensüchtig“ zu sein scheint. Jeder geht mit seinen Problemen und Sehnsüchten unterschiedlich um und so entsteht ein breites Spektrum an Lebenslagen und Einstellungen. Da die Geschichte aus der Perspektive der Protagonisten erzählt wird, erleben wir „hautnah“ ihre Erfahrungen und Gefühle über das ganze Schuljahr.

Schön ist, dass obwohl manche Schicksale von außen als „schwer“ eingeschätzt werden können, ein ansteckender Optimismus im Roman überwiegt. Vor allem Vlad repräsentiert diese Einstellung: « Le destin a été vache avec moi, mais j’en rigole… »

Akzeptanz, Toleranz, Inklusion

Diese Schlagworte sind ständig präsent in der heutigen Gesellschaft und auch Jugendlichen schon bekannt. Vielleicht geht es in ihrem Alltag dabei nicht um den Kontakt mit behinderten Mitmenschen, aber um Andersartigkeit. Die Behandlung des Romans Nos cœurs tordus bietet somit eine tolle Möglichkeit, vielfältig und schülergerecht über die Themen „anders sein“, Toleranz und Akzeptanz zu reflektieren. Denn:

« Je lui ai dit qu’il y a 1000 raisons d’aimer ou de respecter les handicapés, mais sûrement pas juste parce qu’ils le sont. »

Martina Uschold ist Gymnasiallehrerin für deutsch, französisch und deutsch als fremdsprache

Manu Causse, Séverine Vidal
Nos coeurs tordus
Lektüre
119 Seiten
ISBN 978-3-12-592147-4

Für diese Lektüre ist auch eine Lehrendenhandreichung in Vorbereitung